Schule ruft mit Brandbrief um Hilfe: Wie dürfen sich Lehrer gegen gewalttätige Schüler wehren?

... und wie können Eltern zur Verantwortung gezogen werden?

Prügel unter Achtklässlern sind längst keine Seltenheit mehr, mittlerweile schreiben selbst Grundschullehrer (!) schon Brandbriefe

Prügel unter Achtklässlern sind längst keine Seltenheit mehr, mittlerweile schreiben selbst Grundschullehrer (!) schon Brandbriefe

Foto: F1online/Getty Images

Der Brandbrief einer Saarbrücker Gesamtschule macht fassungslos: Über aggressive Schüler, die verbal ihre Lehrer angreifen („Hurensohn“), sich gegenseitig verprügeln, die Nase brechen und Messer zur Einschüchterung verwenden, schreiben die Hilfe suchenden Lehrer. Auch von Polizeieinsätzen, verbrannten Klassenbüchern, Arbeitsverweigerung, Drogenkonsum und frauenverachtenden Bedrohungen ist die Rede – einige Lehrer haben Angst, ihren Unterricht zu geben.

► Aber wie dürfen sich Lehrer eigentlich wehren?

► Wie sollen sie reagieren, wenn sie vor der versammelten Klasse „Wichser“ genannt oder sogar körperlich angegriffen werden?

► Dürfen Lehrer eigenmächtig Schüler aus der Klasse werden, suspendieren oder sogar der Schule verweisen?

► Und inwieweit dürfen sie die Eltern zur Verantwortung ziehen?

BILD sprach mit dem Oberstudiendirektor und Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger.

Ein Auszug aus dem Brandbrief, den die Lehrer ans Ministerium schickten

Ein Auszug aus dem Brandbrief, den die Lehrer ans Ministerium schickten

Foto: Privat

Was können Lehrer tun, damit die Situation an der Schule nicht eskaliert?

„Das Problem ist, dass ein Teil der Schüler gar keine Ambitionen hat, im Leben etwas zu erreichen. Fragt man manche Schüler, was sie später mal werden wollen, lautet die Antwort nicht nur in Einzelfällen ‚gar nichts‘“, erklärt Meidinger.

Der Traum vieler Schüler? Hartz-IV-Empfänger werden!

Meidinger rät deshalb dazu, den Schülern die enormen Chancen guter Bildung zu zeigen, sie zu motivieren und Konflikte schnell aufzulösen, sodass sich erst gar keine Gewaltbereitschaft aufbaut. Ist es aber zu spät und die Schüler werden laut, aggressiv, beleidigend oder sogar handgreiflich, sollten Lehrer Konsequenzen ziehen und die Schüler in ihre Schranken weisen.

Wie Lehrer Schüler in die Schranken weisen können

★ Die Schüler anbrüllen? Lehrer dürfen Schüler nicht anbrüllen, um sie einzuschüchtern. Doch im Schulalltag ist es normal, dass Lehrer auch mal laut werden. Allerdings: Viele Lehrer machen die Erfahrung, dass sich die Klasse beruhigt, wenn sie selbst still werden.

★ Schüler vom Unterricht ausschließen? Lehrer können Schüler für einige Tage oder Wochen vom Unterricht ausschließen. Das Problem dabei: Manche Schüler freuen sich sogar über die freie Zeit.

★ Schüler zum Sozialdienst verdonnern? Dann müssen die Schüler den Müll auf dem Schulhof aufsammeln oder auch mal in der Bücherei aushelfen. Aber hier gilt meistens: Die Schüler können rein rechtlich nicht dazu gezwungen werden.

★ Das Handy wegnehmen? Das dürfen Lehrer nur, wenn ein Missbrauch vorliegt. Also beispielsweise, wenn das Handy im Unterricht eingeschaltet wird oder Prügeleien gefilmt werden. Aber: Das Handy darf nicht als Strafe oder unter Gewalt weggenommen werden.

★ Schüler aus dem Klassenraum werfen? Das dürfen Lehrer nur, wenn sie gewährleisten können, dass die Schüler trotzdem weiter unter Aufsicht sind. Also, dass ein anderer Lehrer auf die Kinder aufpasst oder sie die Schüler noch im Blick haben.

★ Gewalt anwenden? Jede Situation muss gewaltfrei geklärt werden. Das heißt, Lehrer dürfen Schüler nicht beleidigen oder schlagen – auch nicht, wenn die Schüler die Lehrer vorher beleidigt haben oder sie körperlich bedrängen. Die einzige  Ausnahme: Der Lehrer handelt in Notwehr oder in einer Nothilfesituation, um seine eigene Gesundheit oder die anderer Schüler zu schützen. Zum Beispiel wenn ein Kind verprügelt wird und der  Schläger nicht auf Rufe reagiert. Dann darf der Lehrer eingreifen.

★ Schüler von der Schule verweisen? An Pflichtschulen, wie etwa Grund-/ Haupt- und Gemeinschaftsschulen, dürfen Schulen einen Schüler nicht so einfach von der Schule werfen. Es sei denn, sie können nachweisen, dass es bereits mehrere Vorfälle mit dem Kind gab. Dann muss diesen Schülern die Schulbehörde oder das Ministerium eine neue Schule zuweisen. Bei Nichtpflichtschulen wie Gymnasien sieht das teilweise etwas anders aus: Hier können die Schüler von der  Schule verwiesen werden und müssen sich dann selbst eine andere Schule suchen.

★ Die Polizei rufen? Das sollten Schulleitungen und Lehrer immer dann tun, wenn die Situation gefährlich ist oder die Gesundheit der Kinder auf dem Spiel steht bzw. es generell um eine Straftat geht. Beispielsweise wenn Mitschüler einen Raum mit Pfefferspray einsprühen, sodass die anderen Kinder Atemnot und Schleimhautreizungen bekommen. In so einem Fall handelt es sich um Körperverletzung. Der Anruf bei der Polizei und dem Notarzt gehört also dazu.

★ Die Taschen der Schüler durchsuchen? Das dürfen Lehrer nicht. Besteht ein begründeter Verdacht, dass ein Schüler eine Waffe dabei hat, sollten Lehrer die Polizei rufen. Hier gilt: Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig ...

★ Schüler anzeigen? Das ist möglich, wenn Schüler strafmündig sind und eine Straftat begehen.

Wie können Lehrer Eltern in die Verantwortung ziehen?

Für den Pädagogen Heinz-Peter Meidinger steht fest, dass Erziehung nicht in erster Linie in der Schule, sondern vor allem zu Hause stattfindet: „Hierfür müssen Eltern und Schüler an einem Strang ziehen.“ Er rät dazu, bei Problemen in der Schule die Eltern anzurufen, ihnen einen Brief zu schicken oder sie auf Elternabenden anzusprechen.„Das Problem ist nur, dass auf den Elternabenden meistens die Eltern sind, die sich gut um ihre Kinder kümmern. Diejenigen, die ihre Kinder vernachlässigen oder Probleme haben, sind häufig gar nicht da“, gibt Meidinger zu bendenken.

Manche Lehrer probieren es deshalb mit Hausbesuchen oder veranstalten Info-Abende, an denen mehr Eltern Interesse haben könnten. Aus der Erfahrung weiß er, dass die Eltern, die sich beim Elternabend nicht blicken lassen, lieber zu deutsch-türkischen Kochabenden, Spielabenden oder ähnlichen Veranstaltungen kommen. Hier können Lehrer dann ein Gespräch anfangen.

► Kommen die Kinder nicht in den Unterricht, drohen Eltern Strafgelder! Ein Hinweis hierauf könnte manche Eltern vielleicht zum Handeln anregen.

Und was ist, wenn nichts mehr hilft?

„Manche Lehrkräfte sind dann so frustriert, dass sie Versetzungsanträge stellen. Häufen sich an einer Schule Versetzungsanträge aus solchen Gründen, dann ist das aber ein massives Warnzeichen“, erklärt Meidinger. Für den Lehrer ist es wichtig, an der Ursache zu arbeiten, statt nur die Symptome zu behandeln.

Konkret bedeutet das für Meidinger, die Erziehungsverantwortung der Eltern einzufordern, mehr Lehrer und  Sozialarbeiter einzustellen, Kinder zu fördern und zu fordern, aber auch Ballungen von Schülern mit Sprach- und Lernschwierigkeiten an einzelnen Schulen zu verhindern, sodass nicht zu viele Problemkinder an einer Schule aufeinander treffen.

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