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und wüst war, belebt er durch die Erschaffung der Menschen
und der anderen lebenden Organismen, sowie durch die
Hervorbringung des Lichtes. Er ist Culturheros im weitesten
Sinne. Pachayachachic heisst „Lehrmeister der Welt"1). Die
Peststellung der Völkernamen2), der Pflanzen- und Thier-
namen, welche den Menschen ebenso, wie die nützlichen und
schädlichen Eigenschaften der Pflanzen und Thiere, zur Nach-
achtung mitgetheilt werden3), sind Beweise der cultur-
fördernden Thätigkeit Viracocha's im speciellsten Sinne des
Wortes. Sein Auftreten ist ein persönliches, herosartiges.
Sein Aeusseres wird von verschiedenen Schriftstellern ge-
schildert4). Er wandert von Süden nach Norden5), in einzelnen
Berichten6) von Nord nach Süd, durch Peru, und vollführt
grosse Thaten in den Uferländern des Titicaca-Sees: er stürzt

1) Garcilaso, Buch II Cap. 2.

2) Nach Betänzos.

3) Molina, p. 8, oben p. Ob.

4) Cieza, Crönica II, Cap. 5; Betänzos, Cap. 2.

5) Cieza und Betänzos, 1. c.

0) Joan de Santacruz in: Tres Relac. de Antig., p- 236.

Berge um, richtet andere auf, lässt .Feuerregen über Menschen
niedergehen, die nicht auf seine Lehren achten, und straft
sie noch in anderer Weise7).

Viracocha erscheint in den Mythen ohne Zweifel als eine
ausserordentlich mächtige Gestalt, als eine imposantere, als
die Sonne in den Mythen von Paccaritambo. Zugleich ist
sie der religiöse Typus für die Ruinen von Tiahuanaco, mit
welchen sie sich in den Mythen innig verwachsen zeigt. Sie
bietet den Schlüssel, um zu dem Verständniss des Volks-
geistes zu gelangen, aus welchem heraus wir die Entstehung
der Bauwerke zu erklären haben, weil diese Figur der reli-
giöse Angelpunkt der Cultur war, die die Bauwerke erstehen
liess. Erkennt man ja einem alten Satze nach das Volk an
seinen Göttern. Die höhere innere Bedeutung des alten
Viracocha-Cultus gegenüber dem Sonnen - Cultus des Inca-
Reiches beweist zugleich die allgemeine Ueberlegenheit der
ersteren Religionsform über die letztere.

7) Cieza, Betänzos und J. de Santacruz 1. c.

DIE AEUSSERE CULTUR DER VORINCATSCHEN PERIODE DES VIRACOCHA - CULTUS.

Die Ruinen von Tiahuanaco stammen aus vorincaischer
Zeit, wie sich aus p. 54 ergiebt. In dieser Zeit besassen
verschiedene Theile von Peru schon eine hohe Cultur, so
z. B. die Küstengegend in dem Reiche der Cln'mu, dessen
culturelle Bedeutung unverkennbar ist und wissenschaftlich
wohl auch unbestritten dasteht. Dass das Gleiche auch im
Hochlande der Fall war, geht aus der in den Ruinen von
Tiahuanaco überlieferten Cultur und noch aus Anderem
hervor.1)

Treffliche Töpferarbeiten mit bunten Malereien und
plastischen Verzierungen in dem Ornamentstil der Ruinen-
stätte werden noch vielfach gefunden und Proben derselben
sind in den Museen, besonders in denen von Berlin und
Leipzig2) aufbewahrt. Tafel 41, Figur 1 bis 5, veranschaulichen
einige Beispiele derselben.

Für die Höhe, auf welcher die Weberei gestanden
hat, dürfte der Poncho, dessen Muster auf Tafel 21 wieder-
gegeben ist, Zeugniss ablegen. Auf seine stilistischen Be-
ziehungen zu dem Relief des Thores von Ak-kapana ist
schon mehrfach hingewiesen worden. In dem Relief des
Thores und an den Bildsäulen sind zahlreiche Hindeutungen
auf eine allgemein übliche und musterreiche Bekleidung mit
gewebten Gewändern zu finden.3)

Die Kunst, Metalle aus Erzen zu gewinnen,
muss damals schon eine weit vorgeschrittene gewesen sein.
Denn tief eingeschnittene und breite Klammervertiefungen
(z. B. an den Steinen der Tafel 27) lassen darauf schliessen,

1) Schon W. Prescott, History of the Conquest of Peru, I p. 7, erfasste
dieses Verhältniss mit sicherem Blick: „We may reasonably conclude that there
existedin the country a race advanced in civilization before the time of the Incas;
and, in conformity with nearly every tradition, we may derive this race from the
neighbourhood of Lake Titicaca". Der Beweis lässt sich jetzt schon eingehender
führen, als ihn Prescott damals zu liefern im Stande war. Eine eigenthümliche
Argumentation für das Gegentheil strebt Hr. Markham (Journal, p. 289) in den
Worten an: „The populär tradition was, that they (the Yncas) flrst appeared from a
cave at Paceari-tampu, nearly in the centre of the home district; or, in other words,
that, so far as tradition could pierce into the past, their civilization was
altogether of indigenous origin and grow".

2) Kultur und Industrie südamerik. Völker, Band I, Taf. 11—12.

3) Taf. 9 und 11 bis 14, Taf. 21, Fig. 1 und 2, Taf. 31, Taf. 31a Fig. 2,
Taf. 32 Fig. 0; d'Orbigny, Atlas, Taf. 10 Fig. 1 und 2 und Taf. 11.

dass man sogar in der Lage war, Metall in grösserer Masse
für Bauzwecke zu verwenden.4)

Auf die Verwerthung von edleren Gesteins-
arten und Mineralien zu Schmuckgegenständen ist bereits
hingewiesen worden5), ebenso auf die kunstreiche Technik
der grösseren Skulpturen und anderer Steinmetz-
arbeiten6), sowie auf die hohe Entwickelung der Haus-
architektur, für welche die Thorfacaden wohl einen
sicheren Beleg liefern.7) Die Planmässigkeit der bau-
lichen Anlagen auf der Ruinenstätte, welche für jene Zeit
Architekten von grosser Fähigkeit voraussetzt, hat schon
J. v. Tschudi zum Ausdrucke uneingeschränkter Be-
wunderung veranlasst.8)

Der innere Organismus der Bevölkerung muss uns fast
noch bewundernswerther erscheinen als die Summe ihrer
Leistungen. Denn es bedurfte zur Hervorbringung solcher
Werke eines unitarisch organisirten, einem mächtigen Willen
in strenger Zucht sich unterordnenden Volkes, vor Allem
aber auch einer hohen wirthschaftlichen Organisation der
Hilfsquellen. Bei einer solchen konnte aber auch das un-
wirthliche Klima der Gegend kein ernstliches Hinderniss für
die Aufführung solcher Werke bieten, wie es manche
Schriftsteller vermuthet haben.

Tausende von Arbeitern und wieder Tausende von
Familien müssen hier beisammen gewohnt haben, um eine
solche Masse von so grossen Steinen, wie sie sich hier finden,
herbeizuschaffen, zu bearbeiten und zurechtzustellen.9)

Der Titicaca-See gestattete wirthschaftlichen Austausch
zwischen den Bewohnern seiner Ufer. Allein in dieser Be-
ziehung darf die Bedeutung seiner Uferländer nicht über-
schätzt werden. Auch im Alterthume war wohl die Kar-
toffel hier das wichtigste Nahrungsmittel, und dass man im

4) Oben p. 36 b.

5) Oben p. 43.
0) Oben p. 44.

7) Oben p. 37b, und Beschreibung von Taf. 5 Fig. 1.

8) Reisen in Südam., V, p. 292.

9) Von diesen könnte die grosse Menge der Scherben von Thongefässen
herrühren, welche auf der Ruinenstätte noch umherliegen, J. v. Tschudi (Reisen,
V, p. 293) spricht von Millionen solcher Scherben.

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